Kampf gegen den Klimawandel: Noch dieses Jahr soll ein globaler Standard für Nachhaltigkeit vorliegen

Es ist einer der meistgehörten Appelle am WEF: ob all der Krisen den Klimawandel nicht aus dem Blick zu verlieren. Unternehmen und Investoren interessiert derzeit vor allem eins: Wann gibt es endlich ein gemeinsames Verständnis darüber, was nachhaltig ist und wie man es misst?

Alexandra Stühff, Davos
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Für Unternehmen und Investoren besteht Grund zur Hoffnung, dass die Berichterstattung über Klima- und andere ESG-Risiken bald einfacher wird.

Für Unternehmen und Investoren besteht Grund zur Hoffnung, dass die Berichterstattung über Klima- und andere ESG-Risiken bald einfacher wird.

Imago/Jan Eifert / www.imago-images.de

Emmanuel Faber hat eine Mammutaufgabe zu bewältigen, um die ihn keiner beneidet: Er soll einen globalen Standard für die Berichterstattung zu Nachhaltigkeit entwickeln. Faber ist Vorsitzender des International Sustainability Standards Board (ISSB). Dieses wurde im November 2021 während der Uno-Klimakonferenz in Glasgow von der IFRS Foundation aus der Taufe gehoben. Die Stiftung ist eine von zwei globalen Standardsetzerinnen in der Finanzberichterstattung.

Soll einen globalen EGS-Standard entwickeln: Bevor Emmanuel Faber Direktor des International Sustainability Standards Board wurde, war er CEO von Danone.

Soll einen globalen EGS-Standard entwickeln: Bevor Emmanuel Faber Direktor des International Sustainability Standards Board wurde, war er CEO von Danone.

Denis Balibouse / Reuters

«Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln für Investoren und Unternehmen und gleichzeitig die Komplexität und damit verbunden die Kosten für Unternehmen in der Berichterstattung so gering wie möglich zu halten», so fasst Faber seine Aufgabe zusammen.

Was derzeit passiert, ist das genaue Gegenteil: Unternehmen derselben Branche in ihren Bemühungen vergleichen zu wollen, nachhaltig zu sein, ist praktisch ein Ding der Unmöglichkeit. Denn bis anhin gibt es kein gemeinsames Verständnis von Nachhaltigkeit, stattdessen eine Vielzahl von Standards, Kriterien und Labels weltweit, die Unternehmen anwenden und Investoren zu interpretieren versuchen. Und die grossen Rating-Agenturen wenden zudem erst noch ihre eigenen Kriterien an.

Grosse Mehrheit der Investoren verlangt ESG

Für die Firmen ist das ein unhaltbarer Zustand. Grosse Konzerne mit den entsprechenden finanziellen Ressourcen können es sich vielleicht noch leisten, Expertenteams zusammenzustellen und sich von mehreren angesehenen Nachhaltigkeitsagenturen mit einem Label auszeichnen zu lassen. Doch selbst diese bekunden Mühe: «Wir kämpfen damit, Nachhaltigkeit zu messen, machen es aber nicht schlecht», gibt Alan Jope, der CEO von Unilever, unumwunden zu.

Für mittelständische Firmen ist es erst recht praktisch unmöglich, die Vielzahl an Anforderungen zu erfüllen. Kommt hinzu, dass in kleineren Firmen auch das nötige Fachwissen fehlt, um den Nachhaltigkeitsdschungel zu durchdringen. Der CEO von Unilever richtet denn auch eine klare Forderung an Faber: Es brauche dringend und schnell einen globalen Standard, der für Konzerne wie für kleine und mittlere Unternehmen gleichermassen tauglich sei. «Lieber gut als perfekt, lieber einfach statt komplex, global statt lokal», sagt Jope.

Laut einer Umfrage der Wirtschafts- und Beratungsgesellschaft PwC verlangen inzwischen 79 Prozent der Investoren eine ESG-Berichterstattung, wie Nadja Picard, Spezialistin für Nachhaltigkeit bei PwC, sagt. ESG steht für Umwelt (Environment), soziale Aspekte wie faire Löhne und Arbeitsbedingungen (Social) sowie gute Unternehmensführung (Governance).

«Die Firmen sind sehr verunsichert, dass sie zwar über Nachhaltigkeit Bericht erstatten, aber Investoren viel mehr oder andere Details wissen wollen», sagt die PwC-Spezialistin im Hinblick auf ihre Gespräche mit Kunden. Und speziell US-Unternehmen treibe um, dass die Vorgaben in der EU von ihnen eine andere Art der Berichterstattung verlangen könnten, was zusätzliche Kosten verursachen würde.

Gemeint ist die sogenannte EU-Taxonomie, die Unternehmen seit Januar 2022 dazu verpflichtet, auch im Bereich Nachhaltigkeit Bericht zu erstatten. So müssen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern in ihren nichtfinanziellen Berichten den Anteil an Umsatz, Investitionen und Betriebsaufwendungen angeben, der mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftsaktivitäten im Sinne der EU-Taxonomie verbunden ist. Ferner werden weitere erläuternde und konkretisierende Ausführungen zu den drei Kennzahlen erwartet, wie beispielsweise Erläuterungen zur Ermittlung der Taxonomie-konformen Aktivitäten und zur Methodik der Berechnung der drei Kennzahlen.

Komplexität steigt weiter, die Kosten auch

Was kompliziert klingt, ist es auch. «Die grosse Herausforderung beginnt schon bei der Erhebung der Daten. Welche haben wir, wie erheben wir diese, welche benötigen wir überhaupt?», führt die PwC-Managerin Picard aus. Während Unternehmen, die sich an den Kapitalmärkten refinanzieren, weltweit über ihre finanzielle Situation entweder nach US-GAAP oder nach dem europäischen Standard IFRS Bericht erstatten, fehlt der eine ESG-Standard.

In den vergangenen Jahren hat das Interesse an ESG an den Finanzmärkten rasant zugenommen. Doch die Vorgaben, wie Nachhaltigkeitsberichterstattung aussehen muss, unterscheiden sich teilweise von Land zu Land. Eelco van der Enden ist CEO der Global Reporting Initiative (GRI). Das niederländische Unternehmen ist einer der Anbieter, die Firmen bei der Erstellung ihrer ESG-Berichterstattung unterstützen. 11 000 Firmen lassen sich nach seinen Angaben von GRI beraten.

«Für kleine und mittlere Firmen ist die Komplexität weder beherrschbar noch bezahlbar», sagt van der Enden warnend. Gleichzeitig sind viele von ihnen aber Zulieferer grosser Unternehmen, die inzwischen von ihren Lieferanten Auskunft über CO2-Ausstoss, faire Arbeitsbedingungen und Ähnliches verlangen. «Wir laufen Gefahr, dass immer mehr Länder ihre eigenen Standards setzen, statt die Flut der Vorgaben zu harmonisieren. Das wäre ein grosser Rückschlag für ESG», sagt Jope.

Druck von Investoren und Konsumenten steigt

Er spürt den Druck nicht nur von den Investoren. Auch die Konsumenten, besonders die jüngeren Generationen, verlangten nach Transparenz, unter welchen Bedingungen Unilever seine Produkte herstelle. So arbeite Unilever nur mit Zulieferern, die faire Löhne zahlten und sich dem Netto-Null-Ziel verpflichtet hätten. Doch sich zu verpflichten, ist das eine. Den Erfolg zu messen und darüber zu berichten, das andere.

Die Flut von Daten, die Unternehmen ohnehin besitzen, beinhaltet wertvolle Informationen, die für die ESG-Berichterstattung wichtig sind. Doch oft ist unklar, welche Daten es dafür braucht. Und sind diese mit denen der Wettbewerber vergleichbar in der Art, wie sie erhoben werden, und in ihrer Aussage?

Ende 2022 soll ein globaler Standard vorliegen

Emmanuel Faber will bis Ende 2022 eine erste Antwort darauf parat haben. Das ISSB hat im März bereits zwei Vorschläge unterbreitet, die jetzt 120 Tage aufgeschaltet sind. Der eine Standard betrifft Vorgaben für die generelle ESG-Berichterstattung. Der andere setzt zusätzlich Anforderungen im Bereich der Klimaberichterstattung. Bis zum 29. Juli können diese Vorschläge kommentiert werden. Nach Einarbeitung der Feedbacks soll der erste ESG-Standard des ISSB Ende des Jahres vorliegen.

«In drei Jahren werden wir ganz selbstverständlich beides sehen – Gewinnwarnungen und CO2-Warnungen», verspricht Faber. Es hängt viel davon ab, dass er einen guten Job macht.

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